Bürokratie abbauen
Dass Deutschland in einer Komplexitätsfalle steckt, ist für viele Bauherren, Planer und Bauunternehmen im Umgang mit Behörden deutlich spürbar. Doch es hilft uns nicht weiter, wenn Wirtschaft und Verwaltung mit dem Finger aufeinander zeigen. Wir sollten vom Reden ins Handeln kommen, konstruktiv sein und die Zusammenarbeit stärken. Aufgrund der Erfahrungen von WOLFF & MÜLLER möchte ich einige Vorschläge unterbreiten, wie uns das gelingen kann
Wie gelingt es uns, besser zu bauen?
Diese Frage lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven beantworten. Es gibt die visionären Antworten. Zum Beispiel, dass wir für die großen Megatrends unserer Zeit wie Dekarbonisierung, Digitalisierung oder demographischer Wandel bauen müssen. Und es gibt die pragmatischen Antworten – die vielen Stellschrauben, an denen wir sofort drehen können, um Prozesse zu verschlanken und das Fundament für ein gutes Morgen zu schaffen. Eine dieser Stellschrauben ist die Bürokratie.
"Wir brauchen pragmatische und partnerschaftliche Lösungen für die Probleme der heutigen Verwaltungspraxis."
Dr. Albert Dürr, Geschäftsführender Gesellschafter der WOLFF & MÜLLER Gruppe
Konstruktive Lösungen sind gefragt
Bürokratie ist grundsätzlich wichtig und richtig. Sie sorgt für Ordnung, Verlässlichkeit, Rechtssicherheit. Erst wenn sie ausufert, lähmt oder gar blockiert wird sie zum Problem. Dass Deutschland in einer Komplexitätsfalle steckt, ist für viele Bauherren, Planer und Bauunternehmen im Umgang mit Behörden deutlich spürbar. Doch es hilft uns nicht weiter, wenn Wirtschaft und Verwaltung mit dem Finger aufeinander zeigen. Wir sollten vom Reden ins Handeln kommen, konstruktiv sein und die Zusammenarbeit stärken. Aufgrund der Erfahrungen von WOLFF & MÜLLER möchte ich einige Vorschläge unterbreiten, wie uns das gelingen kann. Zunächst jedoch ein konkretes Beispiel aus der Praxis, das ganz gut verdeutlicht, wo die Schwierigkeiten liegen.
Ein Bauprojekt im Ämter-Hürdenlauf
Bei einem Büro-, Geschäfts- und Wohngebäude in einer deutschen Großstadt haben wir einen wahren Ämter-Hürdenlauf miterlebt. Im Herbst 2020 reichte der Bauherr beim städtischen Baurechtsamt den Bauantrag ein. Bis wir dann bauen konnten, dauerte es fast zweieinviertel Jahre. In dieser Zeit wechselten häufig die Vorgaben, von Baurechtsamt, Stadtplanungsamt und Gestaltungsbeirat.
Vier Monate nach Baubeginn reichte der Bauherr beim Baurechtsamt eine Tektur, also eine Korrektur des schon genehmigten Bauplans, ein: Die Raumaufteilung im Unter- und Erdgeschoss hatte sich geringfügig verändert, um das Gebäude barrierefreier und funktionaler zu gestalten. Solche kleinen Anpassungen sind im Bauprozess durchaus üblich. Doch das Baurechtsamt verweigerte eine direkte Kommunikation und Abstimmung vor Einreichen der Tektur, bewertete diese als neuen Bauantrag und gab sie erneut in den Ämterumlauf. Es folgte ein faktischer Baustopp wegen weiterer fehlender Baufreigaben, der den Bauherrn mehrere Hunderttausend Euro kostete – pro Monat! Erst nach vier Monaten wurden die Änderungen genehmigt, sodass wir endlich weiterbauen konnten.
Das Beispiel zeigt, dass Akteure wegen zu komplizierter Verwaltungsprozesse, fehlender Kommunikation und mangelnder Transparenz viel Zeit, aber auch viel Geld verlieren können. Das belastet nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Stadt und ihre Bürger – zum Beispiel, weil sich dringend benötigter Wohnraum verzögert, verteuert oder wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit gar nicht erst entsteht.
Vorschläge für weniger Bürokratie
Doch welche Rahmenbedingungen würden uns helfen, einen Ausweg aus der Komplexitätsfalle zu finden?
- Direkter Austausch: Wie so oft im Leben kann ein kurzes Gespräch, persönlich oder telefonisch, am besten dabei helfen, offene Punkte schnell zu klären und Missverständnisse zu vermeiden. Ich wünsche mir, dass Ämter direkt für An- und Rückfragen erreichbar sind.
- Mehr Transparenz: Für das Projektteam sollte jederzeit ersichtlich sein, an welcher Stelle im Bearbeitungsprozess sich ein Antrag befindet. Nur so kann es planen. Wir hoffen, dass uns hier das Virtuelle Bauamt weiterbringen wird, sobald es deutschlandweit im Einsatz ist.
- Gemeinsamer Kick-Off: Die Verantwortlichen könnten zu Beginn eines Projektes die Projektpartner und verschiedenen Verwaltungsstellen zu einem Kick-Off zusammenholen. Eine solche gemeinsame Abstimmung würde den Ämterdurchlauf deutlich entschlacken und beschleunigen und Frust bei allen Beteiligten vermeiden.
- Städtischer Koordinator: Um das Silodenken in der Verwaltung zu überwinden, empfiehlt sich ein städtischer Koordinator und Lotse, wie es ihn an manchen Stellen schon gibt – und auch in der Kommune aus dem Beispiel schon gab. Er könnte die Arbeit der unterschiedlichen Verwaltungsstellen koordinieren und auf einen gemeinsamen Konsens hinwirken. Das Projektteam hätte einen zentralen und verantwortlichen Ansprechpartner.
- Verfahren digitalisieren: Mit dem Virtuellen Bauamt gibt es in Baden-Württemberg bereits ein solches Leuchtturmprojekt, das jetzt noch in die Verwaltungspraxis umgesetzt werden muss. Hilfreich wären dabei zum Beispiel Piloteinheiten, Servicestellen oder Anlaufstellen für Störungsmanagement.
Die Komplexitätsfalle lauert allerdings nicht nur im Genehmigungsprozess. Jedes Bauprojekt lässt sich im partnerschaftlichen Miteinander aller Beteiligten besser und schneller umsetzen. Unsere Vorschläge:
- Erst fertig planen, dann bauen: Wir können viel effizienter bauen, wenn wir die „produktionsbegleitende Planung“ vermeiden. Das Bausoll sollte klar sein, bevor die Ausführung beginnt. Es braucht den Willen, so früh wie möglich zu entscheiden.
- Digital und schlank bauen: Building Information Management (BIM) und Lean Construction sind Instrumente für Transparenz und frühestmögliches Entscheiden. Sie sorgen für eine bessere Abstimmung aller Beteiligten.
- Partnerschaftsmodelle nutzen: Die Bauindustrie bietet der öffentlichen Hand verschiedene Vertragsmodelle für partnerschaftliches Bauen an. Dabei übernehmen die Unternehmen mehrere Phasen im Lebenszyklus von Bauwerken – bis hin zum Komplettpaket aus Planung, Bau, Finanzierung und Betrieb. Das entlastet die öffentlichen Bauherren deutlich.
Partnerschaftlichkeit reduziert Komplexität – das gilt auch für Normen als gemeinsame technische Sprache. Entgegen allen Vorurteilen machen Normen das Bauen nicht komplizierter. Im Gegenteil: Das DIN Deutsches Institut für Normung e. V. ist für Wirtschaft, Wissenschaft, öffentliche Hand und Zivilgesellschaft die beste Plattform, um gemeinsam Standardprozesse zu entwickeln. Lassen Sie uns diese Plattform möglichst gut nutzen!
Header-Bild: AdobeStock / ink drop, generiert mit KI
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