Dämmung für den Klimaschutz?
Deutschland dämmt und hat ein klares Ziel: Klimaneutralität bis 2045. Ohne Dämmung schaffen wir das nicht. Es ist deshalb nur konsequent und richtig, wenn der Staat energetische Sanierungsmaßnahmen fördert – beispielsweise über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) oder mithilfe von steuerlichen Vergünstigungen.
Die Folge ist, dass hierzulande jedes Jahr zwischen 30 und 40 Millionen Quadratmeter Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) staatlich gefördert an Gebäudefassaden angebracht werden. Doch was passiert mit diesen WDVS, wenn sie nach 30 bis 50 Jahren wieder entfernt werden? Im Idealfall lassen sie sich recyceln. Doch die Realität sieht anders aus: Ausgediente WDVS enden oft in der Müllverbrennungsanlage. Das hat viele Gründe.
Womit dämmen wir eigentlich?
Mehr als die Hälfte der hierzulande eingesetzten Dämmplatten bestehen aus expandiertem Polystyrol (EPS) – besser bekannt als Styropor. Das ist günstig und hat gute Dämmeigenschaften. Aber der Rohstoff für Styropor ist Rohöl. Mit dem Ziel, das Klima zu schonen, verkleiden wir unsere Häuser also mit einem fossilen und die Umwelt belastenden Erdölprodukt. Aus meiner Sicht ist das nicht nachhaltig.
Oft nicht recycelbar
Wärmedämmverbundsysteme mit EPS und anderen synthetischen Dämmstoffen wie Polyurethan oder komplex aufgebauten Vakuumdämmplatten sind technisch oft nur schwer und wirtschaftlich gar nicht recycelbar. Das liegt unter anderem daran, dass sie aus einer Vielzahl unterschiedlicher Bestandteile bestehen – beispielsweise chemischen Zusätzen, Klebstoffen und Dämmmaterialien. Diese Stoffe sind so fest miteinander verbunden, dass sie sich wirtschaftlich nicht trennen lassen. Vakuumdämmplatten sind zudem sehr beschädigungsanfällig. Hinzu kommt, dass ältere WDVS gefährliche Inhaltsstoffe wie das Flammschutzmittel HBCD enthalten können. Das ist zwar seit 2018 in der EU verboten, aber es ist in vielen älteren WDVS bereits verbaut und die bleiben noch Jahrzehnte im Einsatz. An Recycling ist hier nicht zu denken. Diese HBCD-Platten müssen aufwändig und von anderen Dämmstoffen getrennt gesammelt und schließlich verbrannt werden.
Es gibt Alternativen
Aber wie sieht es mit wiederverwertbaren Alternativen aus? Die gibt es – beispielsweise mineralische Dämmmaterialien wie Glas- und Steinwolle. Allerdings haben auch diese Eigenschaften, die für die Wiederverwertung oft nicht ideal sind: Bei Glas- und Steinwolle beispielsweise ist die Neuproduktion günstiger als das Recycling. Deshalb macht ihre Aufbereitung aus rein wirtschaftlicher Sicht für die Betriebe zumeist keinen Sinn.
Das Ergebnis ist in vielen Fällen das gleiche: Was technisch und wirtschaftlich nicht wiederverwendet werden kann, landet auf dem Müll. Dämmstoffe aus natürlichen Materialien wie Holzfaser, Zellulose, Kork oder Flachs lassen sich zwar oft recyceln, aber sie eignen sich nicht für alle Anwendungen und sie sind deutlich teurer als synthetische Lösungen. Oft kosten sie ein Vielfaches von EPS. Machen wir uns nichts vor: In wirtschaftlich herausfordernden Zeiten ist zumeist der Preis der ausschlaggebende Faktor.
Dämmstoffe haben eine begrenzte Einsatzdauer
Die Frage bleibt: Was tun wir mit ausgedienten WDVS? Nach 30 bis 50 Jahren müssen sie ersetzt werden. Falls die alten Dämmmaterialen noch intakt sind, lassen sich energetische Vorgaben manchmal erfüllen, indem man eine zusätzliche Dämmschicht anbringt – also aufdoppelt. Aber auch das ändert an der grundsätzlichen Entsorgungsfrage nichts. Es kann nicht die Lösung sein, dass künftig ganze LKW-Flotten riesige Mengen in die Jahre gekommener WDVS zu Müllverbrennungsanlagen transportieren. Schließlich können beim Rückbau pro Einfamilienhaus bis zu 60 Kubikmeter WDVS-Abfall anfallen. Wir müssen uns klarmachen: Mit jedem Jahr wird die Entsorgungs- oder Wiederverwertungs-Herausforderung größer.
Was sollen wir tun?
Um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht nicht um die Frage, ob Dämmsysteme eingesetzt oder gefördert werden sollten. Wichtig ist aber, mit Blick auf eine künftige Welle an ausgedienten WDVS, zu diskutieren, womit wir dämmen und was wir fördern. Wenn wir konstruktiv über folgende Punkte nachdenken, haben wir schon etwas gewonnen:
- Möchten wir nachhaltig produzierte und wiederverwertbare Dämmstoffe gezielt fördern, damit diese gegenüber synthetischen Lösungen preislich attraktiver werden?
- Können wir den Einsatz von Verbundmaterialien und nicht sortenreinen Stoffen verringern, damit die Trennung der Bestandteile einfacher wird?
- Wie bauen wir eine Recycling-Infrastruktur mit größeren Kapazitäten auf? Bisher gibt es zu wenige Anlagen, die die Wiederverwertung materialspezifisch ausführen können.
- Auf welche Weise können wir die Entwicklung von innovativen Verfahren systematisch fördern? Es gibt bereits technische Lösungen, mit denen sich Polystyrol wiederverwerten lässt.
Ein altes Sprichwort sagt: „Was immer du tust, bedenke das Ende.“ Moderner ausgedrückt bedeutet das für mich: Wir sollten Dämmmaterialien ganzheitlich betrachten und nicht bloß auf die Dämmleistung und den Preis schauen. Auch die Umweltbilanz inklusive Recycelfähigkeit gehören mit in die Rechnung. Eine zeitnahe Verbesserung wäre es, umweltfreundliche Lösungen durch gezielte Förderung attraktiver zu machen. Dieser Ansatz beschränkt sich nicht nur auf Dämmsysteme. Intelligente Förderung kann auch in anderen Bereichen viel bewegen, beispielsweise beim seriellen Bauen. Mehr Informationen dazu finden Sie in meinen Beitrag Der Modulbau verdient mehr Förderung!
Titelfoto: AdobeStock / Ingo Bartussek
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